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Oh Pannenbaum 

Eine Geschichte über unsere Ansprüche und Erwartungen, die wir vielleicht einmal überdenken sollten, denn dann können Wunder geschehen

von Rita Thielen

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 Im Grunde genommen ist ein Tannenbaum auch nur ein Baum. Dennoch wird genau dieser Baum im Gegensatz zu allen anderen Bäumen in der Weihnachtszeit zum Weihnachtsbaum ernannt. Das Ganze dann auch noch in verschiedenen Kategorien. Die Nordmanntanne, Die Nobilis Tanne, Blaufichte usw. Der Ursprung kommt wahrscheinlich aus einer heidnischen Tradition, die grünen Zweige waren ein Zeichen des Lebens, sollten Wintergeister vertreiben und versprachen Schutz und Fruchtbarkeit (interessanterweise fällen wir unsere Bäume und entsorgen sie sehr lieblos). In vielen Familien steht der Weihnachtsbaum für vieles mehr als die einst heidnische Tradition vorsah. Bei Familie Weba ist es eine lange Tradition, dass das Weihnachtsfest von den Ältesten in der Familie geplant und gestaltet wird. Oma Tilli und Opa Theo sind Meister in der Vorbereitung und Organisierung des Festes. Alles hat seine Ordnung alle Termine sind festgelegt, der Menüplan für die Feiertage ist fix und auch die Geschenke sind natürlich liebevoll ausgewählt worden. Krawatten, Socken, Spielzeuge für die Kleinsten, Rasierwasser für die Herren, Küchenhilfen und Damendüfte werden bereits frühzeitig liebevoll verpackt und natürlich bis zum Fest sicher aufbewahrt. Das aufwendige Backen der Weihnachtplätzchen mit allen berücksichtigen Vorlieben der Familie möchte ich erst gar nicht erst erwähnen, das würde den Rahmen sprengen.

Oma Tilli ist eine liebevolle Mutter, Oma und auch Ehefrau sie versteht es immer zum richtigen Zeitpunkt das Richtige zu tun und hält die Familie zusammen. Wenn da nicht die Weihnachtszeit wäre. Gleich zu Beginn des ersten Advents und auch schon einige Wochen zuvor beginnt Oma Tilli sich zu verwandeln. Nennen wir es einmal so:  Sie wird zu einer liebevollen, aber auch sehr bestimmenden Person, für die es das Wort Kompromiss nicht in dieser Sprache existiert. Anfragen der Familie den traditionellen Kartoffelsalat mit Speck und Würstchen etwas veganer zu gestalten wird traditionell mit den Worten:,, Das war schon immer so und das bleibt auch so !“ abgeschmettert. Opa Theo, der sich im Grunde seines Lebens glücklich fühlte und auch seine Tilli nach all den vielen Jahren immer noch liebte, beklagte sich nie. Er war stolz auf alles, was sie gemeinsam geschaffen hatten, die Familie, ein schönes Haus und ein gutes Auskommen. Wenn da nicht die Weihnachtszeit wäre.

 Er hätte natürlich seit Jahren die Möglichkeit gehabt sich an das ganze Prozedere zu gewöhnen dennoch hielt sich seine Vorfreude in Grenzen. Was, wenn etwas schief geht? Oma Tilli dann zu besänftigen, war keine leichte Aufgabe und konnte sich bis Silvester hinziehen. Am ersten Advent kam die Familie zusammen, um die Weihnachtzeit einzuläuten und um die ohne hin schon von Oma Tilli geklärten Fragen der Familie zu klären. Besonders schön war es, dass der jüngste Spross der Familie, Enkelsohn Thomas, gerade zwei Jahre alt das Fest recht gut aufnehmen konnte. Zur Freude aller konnte Thomas schon mit einigen Worten und kleineren Sätzen, wenn auch mit kleinen Fehlern, zum Geschehen beitragen. Somit kommen wir zum kritischen Punkt der ganzen Geschichte.  

Schon das Wort Weihnachtsbaum wurde in der Familie um des Friedens willen nicht nur ansatzweise erwähnt. Denn da kannte Oma Tilli nicht nur keinen, sondern überhaupt keinen Spaß. Größe, Farbe, Gewicht, Form und vermutlich die Anzahl der Nadeln waren Oma Tilli von größter Bedeutung. Sie duldete keine Diskussion. Schließlich hatte sie auch in ihrer Frauengemeinschaft einen guten Ruf zu verlieren, wussten doch alle, dass Oma Tilli immer den perfekten Baum zu Weihnachten aufbaute. Die Frage, wer den Baum schmückt, hatte sich wohl damit auch erledigt. Anfragen aus der Familie, es vielleicht mal mit einem wiederverwendbaren Plastikbaum zu versuchen, wurden mit Androhung von Plätzchenentzug geahndet. Was natürlich niemand, der Oma Tilli’s Plätzchen kennt, riskieren wollte.

So nahm das Schicksal seinen Lauf.

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Kurz vor Weihnachten kündigte sich bei Oma Tilli eine Erkältung an. Diese entwickelte sich zu einer starken Lungenendzündung und zwang Oma Tilli zu einem Krankenaufenthalt. Die Familie war in Sorge um Oma Tilli! Opa war ebenfalls in Sorge um Weihnachten! Die Familie kam zusammen und stellte einen Plan auf, wie alles natürlich im besten Sinne für Oma Tilli erledigt werden konnte. Das dieses Unterfangen schier unmöglich war, war allen bewusst, dennoch gingen alle motiviert an das Projekt Weihnachten dran. Auch der kleine Thomas konnte schon seinen Beitrag leisten er lernte die ersten Weihnachtslieder. Sein kleines sprachliches Handicap ein T mit einem P zu verwechseln, machte seine Gesangseinlagen äußerst charmant und unvergleichlich süß. So kam es das auch Thomas immer liebevoll fragte, ob Oma Pilli wieder gesund ist, was Opa Peho mit „An Weihnachten ist Oma wieder gesund.“ beantwortete.

Die Einkäufe wurden getätigt, die Geschenke besorgt, das Haus dekoriert. Natürlich erkundigte sich Oma Pilli immer über den Stand der Dinge. Die Familie überließ das gerne dem Opa. Opa Pheo sagte, dass alles in Ordnung wäre und die Vorbereitungen gut liefen. Die Realität sah etwas anders aus. Das Abendessen wurde recht vegan gehalten, die Geschenke orientierten sich etwas gezielter an Wünschen der Familie. Die Dekoration des Hauses wurde auf moderne Requisiten umgestellt. Selbst Opa Peho fragte sich langsam, ob er noch in seinem eigenen Zuhause lebte. Thomas war begeistert, er sang seine Lieder und freute sich bei all den schönen Vorbereitung teilnehmen zu können. Das Plätzchenbacken wurde zu einer in den Cerealien unvergleichbaren Zusammenstellung ausgeführt. Laktosefrei, ohne künstliche Geschmacksverstärker, ohne Zucker und zu guter Letzt auch ohne jegliche traditionelle Form gebacken. Die komplette Familie fühlte sich sehr stolz, das diesjährige Weihnachten gemeinsam ausrichten zu können und alle waren sich sicher das Oma Pilli sehr zufrieden mit dem Ergebnis sein wird. Opa Peho hatte da so seinen Zweifel. Er beruhigte sich innerlich, wenn er daran dachte, dass er, wenn es auch fast als unmöglich galt, den perfekten Weihnachtbaum besorgen würde. Das würde seine Frau milde stimmen und die ein oder andere kleinere Änderung in den Weihnachtsvorbereitungen schmälern. Zumindest hoffte er das.

Am Morgen des 23. Dezember kam die frohe Botschaft aus dem Krankenhaus. Oma Pilli durfte am 24. Dezember am späten Nachmittag nach Hause kommen. Der Arzt teilte mit, dass Oma Pilli noch etwas geschwächt sei es für ihre Genesung aber hilfreich sei, wenn sie Weihnachten im Kreise ihrer Lieben verbringen würde. Die Familie freute sich sehr und alle Vorbereitungen waren zeitlich im grünen Bereich. Traditionell fuhr Opa Pilli den perfekten Weihnachtsbaum am frühen Morgen des 24. Dezember bei einem Händler ihres Vertrauens abholen. Was Opa nicht wissen konnte, eine kleine aber Schicksalsentscheidende Verwechslung ist dem Händler unterlaufen: Jedes Jahr kaufte eine Familie Eber den kleinsten und unansehnlichsten Baum zu Weihnachten. Die Familie Eber wollte damit ihren Kindern zeigen das alle Bäume ein Recht darauf hatten ein Weihnachtsbaum zu werden. Eine ehrenhafte Einstellung. Was aber, wenn genau dieser Baum zu Familie Weba mit dem Anspruch, den perfekten Baum zu haben, ankommt? Opa Pilli wunderte sich schon beim Verladen des Baumes über die Größe und das geringe Gewicht. Er legte diese Gedanken aber schnell bei Seite und fuhr mit dem Baum der Familie Eber nach Hause. Im ganzen Haus herrschte Trubel, Musik erklang Weihnachtslieder in Schlagerqualität, der Duft von Plätzchen und Tofu breitete sich aus. Die Zeit verflog und es kam der Zeitpunkt, an dem der Baum von Opa Peho aufgestellt wurde. Der kleine Thomas stand mit leuchtenden Augen, Handschuhen, Schutzbrille und einer elektronischen Kettensäge zur Stelle, um Opa zu helfen. Opa stellte gekonnt den Baum in den Ständer und öffnete das Netz, was den Baum zum Transportieren umgebunden wurde.

 

Das Entsetzen in seinem Gesicht und der dazugehörige Aufschrei brachte in Windeseile die ganze Familie ins Wohnzimmer. Alle erstarten beim Anblick des völlig unansehnlichen Baumes. Er war viel zu klein, krumm, zu wenige Äste und zur Krönung hatte er auch noch zwei Spitzen. Opa Pheo sank vor Schreck in den Sessel, keiner traute sich etwas zu sagen. Die Familie erholte sich so langsam von dem Schreck und man war sich einig, dass der Baum geschmückt bestimmt ganz schön werden würde. Ohnehin war es für einen neuen Baum schon viel zu spät und Oma war im Anmarsch. Opa konnte es nicht fassen, dass er so versagt hatte und er wusste, dass die kommenden Wochen nicht leicht für ihn werden würden. Thomas hingegen sprang fröhlich durch das Haus und ließ es sich nicht nehmen seine Freude über den Baum zum Ausdruck zu bringen. So kam es wie es kommen musste! Oma stand vor der Tür, alle begrüßten sie herzlich und voller Freude. Oma merkte schnell, dass irgendetwas nicht stimmte. Noch nie zu vor wurde sie im Hausflur begrüßt und dann sofort in die Küche gebracht. Es war auch sehr auffallend, dass ihr Mann Theo sie äußerst zurückhaltend begrüßte. Da musste etwas faul sein! Wie ein Blitz schoss es ihr durch den Kopf, der Baum! Wo ist der Baum? Sie sprang auf und eilte zum Wohnzimmer. Sie aufzuhalten glich dem Versuch eine Walze im Abhang zu stoppen. Jetzt war es passiert, Oma sah das kleine völlig mit Lametta und Weihnachtsschmuck überfüllte etwas! Selbst in ihrer kühnsten Fantasie konnte das, was sie dort sah kein Weihnachtsbaum sein. Ihr fiel die Kinnlade runter bis zu den Zehenspitzen. Opa saß mit gesenktem Kopf im Sessel und wartete nur darauf, dass Oma wütend loslegen würde. Die Stille in diesem Moment war kaum auszuhalten.

Ganz gleich was alle jetzt erwarteten dem kleinen Thomas war das völlig egal. Er war unsagbar glücklich und er hatte jetzt in diesem Moment seinen ersten großen Auftritt.

Er sang aus Leibeskräften:

Oh Pannenbaum, oh Pannenbaum wie grün sind Deine Bläpper……

Oh Pannenbaum, oh Pannenbaum ………

Omas Kinnlade wanderte in sekundenschnelle wieder nach oben und sie begann in den wundervollen Gesang einzustimmen. So taten es dann alle und sangen

Oh Pannenbaum!

Die gesamte Familie lachte schallend über diese Situation, es war schön und alle Last fiel fast hörbar von ihren Schultern. Opa Pheo macht vor Freude einen Sprung aus dem Sessel und nahm seine Frau in den Arm.

Seidem hat sich zu Weihnachten einiges in der Familie geändert. Weihnachten wurde zu einem entspannten Fest, oh Pannenbaum wurde der Hit zu Weihnachten.

Wenn wir alle bei unseren Ansprüchen und Erwartungen hin und wieder mal ein Auge zudrücken können Wunder geschehen.

Selbst Omas Frauengemeinschaft hatte Verständnis für die diesjährige Situation und versicherte ihr, dass sie keineswegs ihren guten Ruf verlieren würde 😉

Frohe Weihnachten

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